Tafel 5

Auf die Plätze, fertig, los!

Über jede Hürde

DDR und Transformationszeit

FRAUEN UND SPORT IN DER DDR

Zwischen Anspruch …

In der DDR galt die Gleichberechtigung der ­Geschlechter als erreicht. Bereits mit der ­Staatsgründung 1949 wurde in Artikel 7 der ­Verfassung verankert: „Mann und Frau sind ­gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleich­berechtigung der Frau ­entgegenstehen, sind aufgehoben.“

Sport besaß in diesem Kontext einen ­hohen ­Stellenwert und sollte gemäß ­Artikel 25 (3) der ­Verfassung spätestens seit 1968 durch Staat und Gesellschaft gefördert ­werden. Dies ­geschah unter dem Dach der an den ­Deutschen ­­Turn- und Sportbund (DTSB) ­angegliederten Sportinstitutionen.

Sportliche Aktivität im Leistungs-, ­Freizeit- oder Breitensport sollte ein integraler Bestand­teil der sozialistischen Persönlichkeit sein. Hierbei ­wurde an die Traditionslinie des Arbeiter­sports ­angeknüpft, der die Beteiligung von ­Frauen ­unter die Prämisse stellte, zur Durch­setzung der ­sozialistischen Gesellschaft beizutragen.

„Jedermann an jedem Ort mehrmals in der Woche Sport.“
Mitgliederverteilung nach Geschlecht im DTSB, 1958 bis 1988

… und Wirklichkeit

Neben dem in der DDR staatlich massiv geförderten Leistungssport ­sollte der Breitensport einen erleichterten Zugang zu sportlichen Aktivitäten an den ­jeweiligen Wohn- und Arbeitsorten ermöglichen. Dies geschah über die ­verschiedenen Sportgemeinschaften.

Allerdings blieb Frauen aufgrund der hohen Beanspruchung durch Beruf, ­Haushalt und Kinderbetreuung wenig Freizeit übrig, in der sie hätten Sport ­treiben können. Die Zahl weiblicher Mitglieder im DTSB stieg zwar bis zum Ende der DDR an, erreichte insgesamt jedoch nie mehr als 29 Prozent.

„Jedermann an jedem Ort mehrmals in der Woche Sport.“ – Dieses Zitat ­Walter Ulbrichts steht exemplarisch für den ­Anspruch der DDR an die gesamtgesellschaftliche Rolle des Sports, und schloss auch Frauen mit ein.

FRAUEN IM BREITENSPORT

Pop-Gymnastik vor dem Hygiene-Museum in Dresden, 1986

In der DDR wurde Breitensport in weiten Teilen mit Wettkampforientierung betrieben, was den Sport­bedürfnissen und der ­Lebenssituation von Frauen ­jedoch nur bedingt entsprach.

Seit den 1970er Jahren fanden sie ­deswegen ­zunehmend alternative Möglichkeiten, um Sport zu treiben. Neben individueller körperlicher ­Betätigung waren es vor allem die in ­zahlreichen Wohngebieten entstandenen Sport- und ­Gymnastikgruppen, die bei Frauen und Mädchen ­Anklang fanden.

Ab den 1980er Jahren wurde der nicht ins ­Wettkampfsystem eingebundene Freizeit- und ­Erholungssport staatlich verstärkt gefördert.

Viele Frauen wurden nun vom Aerobic-­Fieber ­angesteckt – es entstand das Phänomen der ­„Pop-Gymnastik“. Mithilfe vom ­ehrenamtlichen ­Engagement vieler Übungsleiterinn­en wurden meist in Wohnortnähe zahlreiche Pop-Gymnastik­Gruppen eingerichtet.

Potsdam, am 9. Mai 1990: Die Kapitäninnen der beiden Länderteams begrüßen sich.

FRAUEN IM FUẞBALL

Im April 1969 erklärte das SED-Politbüro: Männerfußball ist Leistungssport, Frauenfußball nicht. Stattdessen ­sollten Frauen lieber olympische Medaillen in der Leichtathletik, dem Turnen oder Schwimmen gewinnen, um damit zum ­internationalen Ansehen der DDR beizutragen.

Fußball für Frauen wurde daher in der DDR lange als ­Breiten- und Freizeitsport ohne staatliche Förderung ­betrieben.

Am 9. Mai 1990 bestritt das DDR-Nationalteam der Frauen ihr erstes und einziges Länderspiel gegen das Team der Tschechoslowakei (ČSFR).

FRAUEN IM LEISTUNGSSPORT

Leistungssport in der DDR wurde ­staatlich ­gefördert, um über sportliche Erfolge zur ­internationalen Anerkennung der DDR ­­bei­­­zu­tragen. Die Athletinnen und Athleten galten ­deswegen als „Diplomaten im Trainingsanzug“.

Zu den Erfolgsfaktoren des seit den 1950er ­Jahren geschaffenen Leistungssportsystems ­gehörten die flächendeckende frühe Talent­sichtung und ein ­gestuftes Fördersystem mit steigender Trainings­belastung, die sportwissenschaftliche ­Begleitung bis hin zur Vergabe von ­Dopingmitteln. Wesentlich war zudem die soziale Absicherung ­während der Sportkarriere.

In dieses System waren Sportlerinnen und Sportler gleichermaßen eingebunden. Dass Frauen in der DDR in ihren leistungs­sportlichen ­Ambitionen nicht durch traditionelle Weiblichkeits- und Schönheitsideale ­gebremst wurden, kann als zusätzlicher ­Erfolgsfaktor und Wettbewerbs­vorteil ­gesehen werden. So ­waren es in hohem Maße Sportler­innen, die mit heraus­ragenden ­Leistungen ­Medaillen bei Olympischen ­Spielen und Welt­meisterschaften für die DDR gewannen.

Karin Balzer (1963), Olympiasiegerin in Tokio 1964 und mehrfache Europameisterin im 80-Meter- und 100-Meter-Hürdenlauf
Die Eisschnellläuferinnen Andrea Ehrig, Gabi Zange, Karin Kania und Sabine Brehm (v. l. n. r.) beim Eisschnelllauf-Weltcup 1988 in Ost-Berlin

FRAUEN IM EISSCHNELLLAUF

Ost-Berlin am 26. November 1988: Die ­erfolgreichsten ­Eisschnellläuferinnen der DDR – Karin Kania (­heute Enke), Gabi Schönbrunn (­heute Zange) und ­Andrea Ehrig – erklären ­gemeinsam ihren Rücktritt aus dem Leistungssport. Bis dato hatten sie die internationale ­Spitze im Eisschnelllauf mit ­entsprechenden Medaillenerfolgen angeführt.

WENDE UND TRANSFORMATIONSSZEIT

Die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands 1990 brachte vor allem für die neuen Bundesländer große Veränderungen. Insbesondere Frauen waren von Herausforderungen wie dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes und der Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen betroffen.

Die Sportstrukturen der DDR wurden ­ebenfalls aufgelöst, eine Neustrukturierung wurde durch das Wegbrechen der zumeist an ­Betriebe ­geknüpften Sportinfrastruktur erschwert. Nach und nach wurden neue ­Möglichkeiten mit vielfältigeren Sportangeboten über den ­Wettkampfsport hinaus geschaffen, die mehr Frauen erreichten.

In Führungspositionen sind sie jedoch bis ­heute unterrepräsentiert. Der Weg bis zur tatsäch­lichen Geschlechtergleichstellung ist ebenso wie der gesamte Transformationsprozess im Sport noch immer nicht abgeschlossen.

Glossar
Sportinstitutionen
der DDR

BSG – Betriebssport­gemeinschaft
DHfK – Deutsche Hochschule für Körperkultur
DTSB – Deutscher Turn- und Sportbund
HSG – Hochschulsport­gemeinschaft
KJS – Kinder- und Jugendsportschule
NOK – Nationales ­Olympisches Komitee
SC – Sportclub
SSG – Schulsport­gemeinschaft
WSG – Wohnsport­gemeinschaft

Brigitte Stiehl (­Privatfoto)
„Ich war seit 1989 hauptamtlich Leitung im ­Sportensemble. Das war alles schon ein bisschen schwierig, aber auch schön. Dann kam die ­Wende – ich war eigentlich Lehrer – und jeder hat zu mir gesagt: ‚Du musst unbedingt wieder in den Lehrer­beruf ­gehen. Du hast sonst keine Chance, das wird ­alles platt ­gemacht.‘ Und ich habe gesagt: Das geht doch nicht, man kann doch diese Arbeit nicht­ ­einfach unter den Tisch kehren.“
Brigitte Stiehl, langjährige Leiterin des Sportensemble Chemnitz
„Man hat eine WSG gegründet und ­einen ­Antrag gestellt, damit man Anrecht auf ­Zeiten in der Turnhalle hatte. Dann kam die Wende und wir haben uns zusammengesetzt, wie es weiter geht. Damals in der ganz frühen Phase war die Anmeldung als Verein kosten­los. Wir haben sofort einen Sportverein ­gegründet, den Fortuna Leipzig Thekla e. V. Also nahtloser Übergang.“
Ute Lohs, Mitbegründerin der Wohnsportgemeinschaft Fortuna in Thekla 1981

Quellensammlung

→ Grafik von Petra ­Tzschoppe, erstellt nach Zahlen des ­Statistischen Jahrbuchs 1989 der DDR
→ Brigitte Stiehl, 2023. ­Interview durch Pina Bock und Katharina Wolf. Chemnitz, 20.9.2023
→ Ute Lohs, 2024. Interview durch Pina Bock und Katharina Wolf. Leipzig, 6.3.2024
→ Grafik Petra Tzschoppe, ­Daten DOSB 2024

Bildnachweise

→ „Jedermann an jedem Ort, mehrmals in der Woche Sport“, Zündholzschachteletikett, DDR-Repro, Sammlung Prax Berlin (Rechte vorbehalten)
→ „Pop-Gymnastik“, 1986 (© Claudia Mokrzki / Deutsches Hygiene-Museum Dresden)
→ Erstes Länderspiel Frauenfußball DDR (© BArch, Bild 183-1990-0510-415 / Klaus Franke)
→ Karin Balzer, 1963 (© BArch, Bild 183-B1002-0014-001 / ­Ulrich Kohls)
→ Andrea Ehrig, Gabi Zange, Karin Kania und Sabine Brehm 1988 (© BArch, Bild 183-1988-1126-017 / Klaus Oberst)
→ Brigitte Stiehl (­Privatfoto)
→ Ute Lohs (Privatfoto)