Tafel 1

Auf die Plätze, fertig, los!

Über jede Hürde

Turnen im 19. Jahrhundert

„Seit kurzem war eine Turnanstalt für Mädchen ins Leben getreten. Eines Abends, als die Turnerinnen davon zurückkehrend in ihren Turnanzügen harmlos heimzogen, wurden sie plötzlich von der versammelten Knabenwelt umringt u. mit Hohn u. Schimpfwörtern in die Flucht gejagt. Sie rieten den Mädchen zu kochen und zu sticken, aber nicht zu turnen, dazu habe niemand das Recht als eben sie, das stärkere Geschlecht.“
Louise Otto-Peters, 1845

In ihrem Reisebrief aus dem Jahr 1845 ­kommentierte Louise Otto-Peters herabwürdigende Äußerungen von Jungen gegenüber Turnerinnen, die sie zufällig auf der Straße miterlebt hatte. Ihre Schilderungen zeigen die Schwierigkeiten von Mädchen und Frauen auf, die im 19. Jahrhundert bei der damals aufkommenden Turn­bewegung mitmachen wollten.

­Damals wie heute lässt sich die Stellung von ­Frauen in der Gesellschaft besonders gut ­daran ­ablesen, wie sie im Sport behandelt werden: ­Ausgrenzung, Ungleich­behandlung und ­Diffamierung von Frauen ­treten bis heute auf und können leider (noch?) nicht als historische Phänomene abgetan ­werden.

Unsere Ausstellung Über jede Hürde. Frauen im Sport in Sachsen will darum die Kämpfe und Erfolge von Frauen und Mädchen im Sport in ­Sachsen sichtbar machen, den vielen Akteurinnen im Sport Raum geben und Frauen im und zum Sport ermutigen. Also:

Auf die Plätze, fertig, los!

Porträt von Louise Otto-Peters um 1850

FRAUEN UND TURNEN IM 19. JAHRHUNDERT

Frauen konnten sich in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts weder körperlich noch geistig frei entfalten. Diesen Zustand ­kritisierten ­immer mehr bürgerliche Frauen wie Louise ­Otto-Peters, die sich nicht mehr in die klassische Hausfrauen- und Mutterrolle fügen, sondern selbstbestimmt leben wollten. Sie wurden politisch aktiv und forderten Bildungsgerechtigkeit sowie die Möglichkeit für Mädchen und Frauen, sich auch körperlich zu ertüchtigen.

In den 1840er Jahren gründeten sich immer mehr ­liberal-national ausgerichtete Turnvereine, ­einige von ­diesen auch mit Turnabteilungen für Mädchen und Frauen, die überwiegend in Sachsen angesiedelt ­waren. Mit der Erfahrung, dass auch sie zu körperlicher ­Betä­tigung in der Lage ­waren, wuchs das Selbst­bewusstsein der turnenden Frauen.

Das Mädchen- und Frauenturnen wurde aber durch ­ästhetische Anforderungen und das Gebot der ­sogenannten Schicklichkeit ­gemaßregelt, ­Wett­kämpfe oder Leistungsvergleiche waren nicht ­erwünscht. Die Bandbreite der ­Turnübungen für ­Mädchen war sehr begrenzt. ­Gesellschaftlich ­­gesehen fand das ­Turnen für ­Mädchen im Schulkontext noch eher ­Akzeptanz als das ­Turnen ­erwachsener Frauen in Frauenturnvereinen, da ­diese der damals ­aufkommenden ­Frauenbewegung ­nahestanden. Die tradierten Machtverhältnisse sowie die Geschlechterrollen und -­zuschreibungen der Frau als weich und emotional sollten nicht erschüttert werden.

Mit dem Scheitern der Revolution 1848/49 erlitt auch die Turnbewegung, insbesondere die ­Frauenturnbewegung, einen Rückschlag. Erst ab den 1880er Jahren erfuhr das Frauenturnen einen neuen Aufschwung.

Leibesübungen für Mädchen aus dem Lehrbuch
„Weibliche Hausgymnastik“ von Moritz Kloss, Leipzig, 1856
Zeitgenössische Darstellung eines Mädchenturn­vereins aus dem Jahr 1861
Leibesübungen für Mädchen aus dem Lehrbuch
„Weibliche Hausgymnastik“ von Moritz Kloss, Leipzig, 1856

FRAUEN IN BEWEGUNG

„Die Zeit der Rache ist gekommen! Im überwallenden Gefühl unserer angestammten Kraft ergreifen wir ­muthig die Waffen gegen die ­Erzfeinde ­unseres Geschlechts. Unsere Wahlstatt ist der Turnplatz.“
Aus Paragraf 1 der Satzung des Frauen­turnvereins Frankfurt a. M., 1849, abgedruckt in Louise Otto-Peters „Frauen-Zeitung“


„Der Widerspruch, ­welcher sich ­gegen diese neuen ­Bestrebungen zur (Körper-)Erstärkung der ­Frauen erhebt, ist gerade so sinnlos wie ­jener, welcher die Bestrebungen zur ­Geistesstärkung betrifft.“
Louise Otto-Peters, 1845


Porträt von Louise Otto-Peters um 1850
Porträt von Hedwig Dohm nach 1900



„Man redet der Frau ein, daß sie ­kränklich sei und schwach und daher des ­männlichen Schutzes bedürfe, denn ahnte sie die ihr ­angeborene Kraft und Gesundheit, so ­könnte der souveräne Mensch in ihr ­erwachen, und es könnte geschehen, daß ­eines Tages die Männererde der alten ­Germanen zur Menschenerde würde.“
Hedwig Dohm, 1874


Quellen:

→ Louise Otto-Peters ­Neunter Brief ­Magdeburg der ­Journalistischen ­Reisebriefe. I. Thüringen 1845
→ Louise Otto-Peters ­Frauenzeitung Nr. 28, 18. Juli 1951, S. 188
→ Neunter Brief ­Magdeburg der ­Journalistischen ­Reisebriefe. I. Thüringen 1845
→ Hedwig Dohm, Die ­stärksten Frauen der Welt, aus: Die ­wissenschaftliche Emanzipation der Frau, ­Berlin 1874, S. 153–154
→ Fischer-Dückelmann, ­Gründet Frauen-Turn­vereine! aus: Die ­Gesellschaft, 1. Jg., ­München 1885, S. 893–894
→ Fotografie von Louise Otto-Peters (© LOPG e. V.)
→ Olympia 1928, 800-Meter-Lauf der ­Frauen (© COLORSPORT/THE BARRETT COLLECTION)
→ Abbildung von Turnübungen aus dem Buch Weibliche Hausgymnastik von Moritz Kloss. (© Bayerische Staats­bibliothek)
→ Der Turnsaal des Mädchen­turnvereins in Berlin, ­Illustrirte ­Zeitung 06.07.1861, S. 17. (© Universitäts­bibliothek ­Leipzig, ­Signatur: Dt.Zs.1077: 1861)
→ Porträt von Louise Otto-Peters um 1850 (© LOPG e.V.)
→ Porträt von Hedwig Dohm nach 1900 (© ETH-Bibliothek ­Zürich, ­Thomas-Mann-Archiv, ­Fotograf: Julius Cornelius ­Schaarwächter, TMA_0588, ­gemeinfrei)