„Mit inniger Freude begrüßen wir die unerwartete Kunde von dem Turnmut der Leipzigerinnen […]. Wie mancher Versuch zum Frauenturnen auch schon in verschiedenen Städten Deutschlands gemacht worden ist, der Pariser ‚Modewind‘ hat es immer wieder rein weggeblasen, und so bleibt die Hoffnung auf deutsche Entwicklung in der Tat so kurzatmig wie die verschnürten Leiber unserer Frauen.“
Im 19. Jahrhundert turnten Mädchen und Frauen in der Regel in Alltagskleidung, denn es gab noch keine spezielle Turnkleidung. Somit waren sie durch einengende Röcke, das Korsett und lange Ärmel in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zudem durfte die Kleidung der Schulmädchen nicht beschädigt oder verschwitzt werden, was das Turnen fast unmöglich machte.
Die Mitglieder vom Leipziger Zweigverein des „Allgemeinen Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung“ bemühten sich um die Entwicklung eines praktischen und günstigen Schulkleides für Mädchen, das 1904 offiziell in den Leipziger Schulen eingeführt wurde und sowohl im Alltag als auch beim Turnen getragen werden konnte.
Mit Ausstellungen, Vorträgen und Schnittbogenmustern wurde erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Ein Jahr nach der offiziellen Einführung trug bereits die Hälfte aller turnenden Mädchen in Leipzig – 7000 an der Zahl – das Kleid. 1911 wurde es auch auf der Internationalen Hygieneausstellung in Dresden präsentiert.
Vor allem der jahrzehntelange Kampf um die Hose als Kleidungsstück für Frauen war ein wichtiger Punkt für die Entwicklung einer funktionalen Sportkleidung.
Die praktische Hose wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch von großen Teilen der Bevölkerung aus einer diffusen Angst vor der „Vermännlichung“ von Frauen abgelehnt und als „Tracht der Emanzipation“ verschmäht.
Die sächsische Tennisspielerin Dora Köring gewann bei den Olympischen Spielen 1912 die Goldmedaille im Rasen-Mixed-Turnier.
Als schließlich das Radfahren mit Erfindung der Niederrades auch bei Frauen populär wurde und sogar Fahrradhersteller mit in Pumphosen fahrenden Frauen warben, ließ sich der Siegeszug der Frauenhose schließlich nicht mehr aufhalten.
„Dass das Prinzip Hose ein durchaus vernünftiges ist, dürfte selbst der erbitterte Gegner kaum bestreiten. Die Frau hat genau ebenso viele Beine, wie der Mann, sie bedient sich derselben, besonders beim Radfahren, in genau derselben Weise, sollte also doch eigentlich darauf bedacht sein, sie ebenso praktisch zu bekleiden, d. h. jedem Bein seine eigene Hülle geben, statt beide in eine zu stecken“
„Trotzdem bürgerte sich aber auch das Frauenturnen neben dem Schulturnen mehr und mehr ein, und da, wo es ernst betrieben wurde, fanden die Frauen selbst heraus, daß die Turnhose, unter einem kurzen Rock getragen, zweckmäßig sei.“
„Ich komme mir echt bescheuert vor. Für einen Eiskunstläufer ist es ungemein wichtig, sich in seinen Kostümen wohlzufühlen und das tue ich im Falle dieses Rockes nicht. Ich finde, die Knickerbocker unterstreichen viel mehr meinen darzustellenden Charakter.“
Auch in den 1980er Jahren war die Hose im Sport noch immer ein Politikum:
Nach den Europameisterschaften im Eiskunstlauf 1983 in Dortmund führte die „International Skating Union“ (ISU) eine Regel ein, die Frauen das Tragen von Hosen bei Wettkämpfen untersagte.
Diese Entscheidung folgte einer Kontroverse um das Kostüm der Eiskunstläuferin Katarina Witt, die ihr Kurzprogramm in halblangen Knickerbocker-Hosen aufgeführt hatte. Mit dem gleichen Programm musste sie einen Monat später bei der Weltmeisterschaft in Helsinki im Rock antreten. Die umstrittene Regelung wurde erst in der Saison 2004/2005 aufgehoben.
Bis heute hat sich Sportkleidung für Frauen stark verändert – ausschließlich praktisch und funktional war sie aber fast nie. In einigen Sportarten wirken bis heute tradierte Kleidervorschriften nach. Gleichzeitig werden häufig Debatten um das Thema geführt und es sind oftmals die Sportlerinnen selbst, die auf das Thema aufmerksam machen und vehement Änderungen einfordern.
So entschieden sich beispielsweise die deutschen Turnerinnen bei der Turn-Europameisterschaft 2021 in Basel, statt der üblichen knappen Kleidung Ganzkörperanzüge (Unitards) zu tragen, die bis zu den Knöcheln reichten. Obwohl diese seit 2009 offiziell erlaubt sind, stießen die Turnerinnen damit eine öffentliche Diskussion über Bekleidungsregeln im Sport an.
Sie wollten zeigen, dass die Wahl der Kleidung auch auf das persönliche Wohlbefinden und die Leistung einen positiven Einfluss haben kann. So sollten besonders Nachwuchsturnerinnen ermutigt werden.
→ Diana Richter (Hg.): Kopf oben, Beine unten und geschlossen – Frauen turnen sich frei, Leipzig 2001, S. 37
→ Fanny Goetz: Die heutige deutsche Frauenturnkleidung. In: Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1912, S. 64
→ Amalie Rother. Das Damenradfahren, in: Der Radfahrsport in Bild und Wort, München 1897, S. 111
→ Katarina Witt (o. D.): Europameisterin in Dortmund 1983. Quelle: https://www.katarina-witt.de/de/eiskunstlauf/europameisterin-1983.html; zuletzt abgerufen am 29.8.2024
→ Zeichnung des Leipziger Schul- und Turnkleides in: Goetz, Fanny. Die heutige deutsche Frauenturnkleidung, in: Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1912, Jg. 21, Leipzig/Berlin, S. 65 (Rechte vorbehalten)
→ Fotografie vom Leipziger Schul- und Turnkleid in: Deutsche Turnzeitung für Frauen, 1904, Nr. 21, S. 163 (gemeinfrei)
→ Plakat der Internationalen Hygiene Ausstellung in Dresden 1911 von Franz von Stuck (Public domain via Wikimedia Commons)
→ Werbeplakate von Radfahrerinnen in Pumphosen um 1900. In: Wolter, Gundula. Hosen, weiblich. Kulturgeschichte der Frauenhose, Marburg 1994, S. 166 (gemeinfrei)
→ Dora Köring im Tennis-Rock (Public domain via Wikimedia Commons)
→ Katarina Witt 1983 in Hosen (© BArch, Bild 183-1983-0329-028 / Wolfgang Thieme)
→ Pauline Schäfer-Betz (© Picture Alliance / Laci Perenyi)
→ Enge Mode um 1881. In: Der Bazar. 1. Juni 1881 (Rechte vorbehalten)
→ Frauenmode um 1895. In: Weber-Kellermann, Ingeborg. Frauenleben im 19. Jahrhundert, München 1983, S. 138 (Rechte vorbehalten)