Tafel 3

Auf die Plätze, fertig, los!

Über jede Hürde

Sportkleidung

DAS LEIPZIGER SCHUL- UND TURNKLEID

„Mit inniger Freude begrüßen wir die unerwartete Kunde von dem Turnmut der Leipzigerinnen […]. Wie mancher Versuch zum Frauenturnen auch schon in verschiedenen ­Städten Deutschlands gemacht worden ist, der Pariser ‚Modewind‘ hat es ­immer ­wieder rein weggeblasen, und so bleibt die Hoffnung auf deutsche Entwicklung in der Tat so kurzatmig wie die verschnürten Leiber unserer Frauen.“
Brief von Heidelberger an Leipziger Turnerinnen in der „Frauen-Zeitung“, 1851
Frauenmode um 1895
­Werbeplakat für die ­Internationale Hygiene­ausstellung in Dresden 1911
­Leipziger Schul- und Turnkleid

Im 19. Jahrhundert turnten ­Mädchen und ­Frauen in der Regel in ­Alltagskleidung, denn es gab noch keine spezielle ­Turnkleidung. ­Somit ­waren sie durch einengende ­Röcke, das Korsett und lange Ärmel in ihrer ­Bewegungsfreiheit eingeschränkt. ­Zudem ­durfte die Kleidung der Schul­mädchen nicht beschädigt oder verschwitzt ­werden, was das Turnen fast unmöglich machte.

Die Mitglieder vom Leipziger Zweigverein des ­„Allgemeinen Vereins für Verbesserung der Frauen­kleidung“ ­bemühten sich um die Entwicklung eines ­praktischen und günstigen Schulkleides für ­Mädchen, das 1904 offiziell in den ­Leipziger Schulen ­eingeführt wurde und sowohl im Alltag als auch beim Turnen ­getragen werden konnte.

Mit Ausstellungen, Vorträgen und Schnittbogenmustern wurde ­erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit ­geleistet. Ein Jahr nach der ­offiziellen ­Einführung trug ­bereits die ­Hälfte ­aller turnenden Mädchen in Leipzig – 7000 an der Zahl – das Kleid. 1911 ­wurde es auch auf der ­Internationalen ­Hygieneausstellung in Dresden präsentiert.

DER KAMPF UM DIE HOSE

Vor allem der jahrzehntelange Kampf um die Hose als ­Kleidungsstück für Frauen war ein ­wichtiger Punkt für die ­Entwicklung einer ­funktionalen Sportkleidung.

Die praktische Hose wurde zu Beginn des 20. ­Jahrhunderts immer noch von ­großen Teilen der Bevölkerung aus einer ­diffusen Angst vor der „Vermännlichung“ von Frauen abgelehnt und als „Tracht der Emanzipation“ verschmäht.

Die sächsische ­Tennisspielerin Dora Köring gewann bei den ­Olympischen ­Spielen 1912 die Goldmedaille im Rasen-Mixed-­Turnier.

Dora Köring und Heinrich Schomburgk in Stockholm, 1912

Als schließlich das Radfahren mit Erfindung der Niederrades auch bei Frauen populär ­wurde und sogar Fahrradhersteller mit in Pumphosen ­fahrenden Frauen warben, ließ sich der Siegeszug der Frauenhose schließlich nicht mehr aufhalten.

„Dass das Prinzip Hose ein ­durchaus ­vernünftiges ist, dürfte selbst der ­erbitterte Gegner kaum bestreiten. Die Frau hat genau ebenso viele ­Beine, wie der Mann, sie bedient sich der­selben, besonders beim ­Rad­fahren, in genau derselben ­Weise, sollte also doch eigentlich darauf bedacht sein, sie ebenso praktisch zu bekleiden, d. h. ­jedem Bein seine eigene Hülle geben, statt beide in eine zu stecken“
Die deutsche Fahrradpionierin Amalie Rother, 1897
Sächsische Werbeplakate für Fahrräder mit Radlerinnen in Pumphosen, um 1900
Zeichnung Leipziger Schul- und Turnkleid
„Trotzdem bürgerte sich aber auch das Frauen­turnen neben dem Schulturnen mehr und mehr ein, und da, wo es ernst ­betrieben ­wurde, ­fanden die Frauen selbst ­heraus, daß die ­Turnhose, ­unter einem ­kurzen Rock ­getragen, zweckmäßig sei.“

KONTROVERSE UM KATARINA
WITTS KOSTÜM

Katarina Witt im Mozart-Kostüm
„Ich komme mir echt ­bescheuert vor. Für ­einen Eiskunstläufer ist es ­ungemein wichtig, sich in seinen ­Kostümen wohlzufühlen und das tue ich im Falle dieses ­Rockes nicht. Ich ­finde, die Knickerbocker unter­streichen viel mehr ­meinen darzustellenden Charakter.“
Katarina Witts Kommentar zu der ­Kontroverse um ihr Kostüm

Auch in den 1980er Jahren war die Hose im Sport noch immer ein Politikum:
Nach den Europameisterschaften im ­Eiskunstlauf 1983 in Dortmund führte die „International Skating Union“ (ISU) eine Regel ein, die Frauen das Tragen von Hosen bei Wett­kämpfen untersagte.

Diese Entscheidung folgte einer Kontroverse um das ­Kostüm der Eiskunstläuferin Katarina Witt, die ihr Kurzprogramm in halblangen Knickerbocker-Hosen aufgeführt hatte. Mit dem gleichen Programm musste sie einen Monat später bei der ­Weltmeisterschaft in Helsinki im Rock antreten. Die umstrittene Regelung wurde erst in der Saison 2004/2005 aufgehoben.

SELBSTERMÄCHTIGUNG

Bis heute hat sich Sportkleidung für Frauen stark verändert – ausschließlich praktisch und ­funktional war sie aber fast nie. In einigen Sportarten wirken bis heute tradierte ­Kleidervorschriften nach. ­Gleichzeitig werden häufig Debatten um das ­Thema geführt und es sind oftmals die Sportlerinnen selbst, die auf das Thema aufmerksam machen und ­vehement Änderungen einfordern.

So entschieden sich beispielsweise die ­deutschen Turnerinnen bei der Turn-Europameisterschaft 2021 in Basel, statt der üblichen knappen ­Kleidung Ganzkörperanzüge (Unitards) zu tragen, die bis zu den Knöcheln reichten. Obwohl diese seit 2009 ­offiziell erlaubt sind, stießen die ­Turnerinnen damit eine öffentliche Diskussion über ­Bekleidungsregeln im Sport an.

Sie wollten zeigen, dass die Wahl der Kleidung auch auf das persönliche Wohlbefinden und die ­Leistung einen positiven Einfluss haben kann. So sollten besonders Nachwuchs­turnerinnen ­ermutigt werden.

Pauline Schäfer-Betz im Ganzkörperanzug

Quellensammlung

→ Diana Richter (Hg.): Kopf oben, Beine unten und ­geschlossen – Frauen turnen sich frei, Leipzig 2001, S. 37
→ Fanny Goetz: Die heutige deutsche Frauenturnkleidung. In: Jahrbuch für Volks- und ­Jugendspiele 1912, S. 64
→ Amalie Rother. Das Damenradfahren, in: Der Radfahrsport in Bild und Wort, München 1897, S. 111
→ Katarina Witt (o. D.): Europameisterin in Dortmund 1983. Quelle: https://www.katarina-witt.de/de/eiskunstlauf/­europameisterin-1983.html; ­zuletzt abgerufen am 29.8.2024

Bild­nachweise

→ Zeichnung des ­Leipziger Schul- und Turnkleides in: ­Goetz, Fanny. Die heutige ­deutsche ­Frauenturnkleidung, in: Jahrbuch für Volks- und ­Jugendspiele 1912, Jg. 21, ­Leipzig/Berlin, S. 65 (Rechte vorbehalten)
→ Fotografie vom ­Leipziger Schul- und Turnkleid in: ­Deutsche Turnzeitung für ­Frauen, 1904, Nr. 21, S. 163 (­gemeinfrei)
→ Plakat der Internationalen Hygiene Ausstellung in ­Dresden 1911 von Franz von Stuck (­Public domain via Wikimedia Commons)
→ ­Werbeplakate von ­Radfahrerinnen in ­Pumphosen um 1900. In: ­Wolter, ­Gundula. Hosen, ­weiblich. ­Kulturgeschichte der Frauen­hose, Marburg 1994, S. 166 (gemeinfrei)
→ Dora Köring im Tennis-Rock (Public domain via Wikimedia Commons)
→ Katarina Witt 1983 in Hosen (© BArch, Bild 183-1983-0329-028 / Wolfgang Thieme)
→ Pauline Schäfer-Betz (© ­Picture Alliance / Laci Perenyi)
→ Enge Mode um 1881. In: Der Bazar. 1. Juni 1881 (Rechte ­vorbehalten)
→ Frauenmode um 1895. In: Weber-Kellermann, ­Ingeborg. Frauenleben im 19. ­Jahrhundert,­ ­München 1983, S. 138 (Rechte ­vorbehalten)