Tafel 4

Auf die Plätze, fertig, los!

Über jede Hürde

Weimarer Republik und Nationalsozialismus

DIE „NEUE FRAU“ IN DER WEIMARER REPUBLIK

Umschlagfoto der Zeitschrift „Das Leben“, 1932

In der Weimarer Republik (1919–1933) ­entwickelte sich der Sport zu einem populären Massenphänomen.

Verschiedene Turn- und ­Sportorganisationen ­ermöglichten Frauen aus allen Gesellschafts­schichten erstmalig die sportliche Teilhabe am ­öffentlichen Leben.

Fotografie von Fritz­ ­Schimmer aus Dora ­Menzlers Buch „Die ­Schönheit deines Körpers“, 1924

Während des Ersten ­Weltkrieges (1914–1918) ­hatten Frauen bereits Verantwortung im ­öffentlichen und Berufsleben über­nommen. Auch die Verstädterung und der damit einhergehende ­urbane ­Lebensstil ­sowie eine liberalere ­Ein­stellung zu ­Körper, ­Moral und ­Sexualität führten zu ­einem Emanzipationsschub und einem ­veränderten Frauenideal: Fortan galt die „Neue Frau“, die selbstbewusst, ­erwerbstätig und auch sportlich war, als erstrebenswerte Form von Weiblichkeit.

In der Realität war es aufgrund der Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und Kindererziehung jedoch nur wenigen Frauen möglich, dieses ­Ideal zu erreichen.

Sport begann sich als wichtiger ­Bestandteil der weiblichen Bewegungskultur zu etablieren, gleichwohl den Frauen die ­Funktionärsebene innerhalb der Massenorganisationen zumeist verwehrt blieb.

Bildreportage „Kein Sport für Frauen?“, 1930

SPORTLICHE HETEROGENITÄT IN DER WEIMARER REPUBLIK

Turnerinnen am ­Doppelreck beim 1. Arbeiter-Turn- und ­Sportfest 1922 in Leipzig

Anders als ­heute galten damals nur Wettkämpfe wie ­Handball, Fußball, Tennis, Leichtathletik, Schwimmen oder Radfahren als Sport im ­eigentlichen Sinn.

Die ­meisten Frauen und Mädchen ­waren in der bürgerlichen Turnbewegung oder im ­Arbeitersport organisiert. Mit der Gymnastik­bewegung entstand eine „Frauen­domäne“.

Bis zum Ende der Weimarer ­Republik ­waren 1,2 ­Millionen Frauen in Sport- und Turn­vereinen Mitglied, wobei zwei Drittel von ihnen jünger als 21 ­Jahre waren. Zusätzlich boomte auch der Freizeitsportbereich, z.B. der ­Wandersport.

Leichtathletin Lina Radke auf einer Sammelkarte von 1927
Organisation der Frauen im Sport um 1930 in absoluten Zahlen
Fotografie von Fritz Schimmer aus Dora Menzlers Buch „Die Schönheit ­deines Körpers“, 1924

Als Teil der wachsenden ­Gymnastikbewegung ­entstanden vor allem in Leipzig erste ­Bewegungs­schulen für Frauen, so auch die ­Schule von Dora Menzler.

Unabhängig vom Leistungsgedanken sollten Frauen durch Gymnastik und Tanz eine eigene Bewegungs- und Körperkultur entwickeln können, ohne dabei – im Gegensatz zum wettkampforientierten Sport – in einen Konflikt mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit zu geraten.

Die Schulen boten zugleich aber auch einen Raum, in dem Frauen sich abseits der starren gesellschaftlichen Normen neu erleben konnten.

FRAUEN UND SPORT IM NATIONALSOZIALISMUS

Mit der Machtübernahme der NSDAP wurden viele ­positive Entwicklungen im Sport der Weimarer Republik ­beendet. Zwar wurden der Leibeserziehung und dem Körper in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) eine enorme ­Bedeutung beigemessen, jedoch war diese Aufwertung mit einer ­starken Funktionalisierung und Instrumentalisierung der Geschlechter verbunden.

In der NS-Ideologie sollten Mädchen durch den Sport ­primär auf die Mutterschaft und Jungen auf den Militär­dienst ­vorbereitet werden. Sport beim Bund ­Deutscher ­Mädel (BDM) wurde unter dem Motto „Straff, aber nicht stramm – herb, aber nicht derb“ praktiziert.

Mit dem Ziel, die vermeintliche Überlegenheit des NS-­Systems zu demonstrieren, förderte das Regime den ­Leistungssport der Frauen und stellte bei Olympia 1936 in Berlin das größte Frauen-Team, das auch zahlreiche ­Medaillenerfolge erzielte.

BDM Mädchenbeim Turnen im Freien
Angehörige der BDM-­Organisation „Glaube und Schönheit“ beim Turnen mit Reifen

Da jedoch alle Siegerinnen bereits vor 1933 ­erfolgreich im Leistungssport aktiv waren, ist der olympische ­Erfolg kein Verdienst der NS-Sportförderung, sondern auf ­langjährige, stetige Leistungsfortschritte der Sportlerinnen in der Weimarer Republik zurückzuführen.

FRAUEN UND SPORT IN VERSCHIEDENEN POLITISCHEN SYSTEMEN

„Ich war aber so begeistert vom Bergsteigen, dass ich alles riskierte. Schlimmer war, wer uns ­plötzlich nicht mehr kannte, nicht mehr hinsah. Nur von ­meinen Bergfreunden haben viele durchgehalten. Manche hatten sogar die Courage, ins Judenhaus zu kommen.“
Ilse Frischmann im Gespräch mit Bergsporthistoriker Joachim Schindler im Jahr 2004

Bergsteigerin Ilse ­Frischmann ­(1922–2009) aus Dresden fand in den 1930er und 1940er Jahren im Klettern ­Zuflucht vor den zunehmenden ­Repressionen des NS-­Regimes.

Trotz der verschärften Ausgrenzung und Verfolgung, die sie als Jüdin in dieser Zeit ­erlebte, bestieg sie zahlreiche anspruchsvolle Gipfel in der Sächsischen Schweiz.

1944 wurde Ilse Frischmann nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte die extremen Bedingungen im Lager nur knapp. Nach dem Krieg kehrte sie nach Dresden zurück und nahm ihre Leidenschaft, das Klettern, wieder auf.

Ilse Frischmann am Wartturm bei Rathen, Mai 1942
Sammelbild von Luise ­Krüger zu Olympia 1936
„Es war ein richtiger Schlag. Wir haben ­inoffiziell unsere Gymnastik und ­anderes noch weitergemacht, aber wir hatten ja keine ­Wettkämpfe mehr. ­Notgedrungen – ich wollte ja auch mit 18 Jahren nicht ­aufhören – ging ich in den Dresdner SC.“
Luise Krüger im Jahr 1994 über die Zwangsauflösung ihres ­Arbeitersportvereins im Jahr 1933

Luise Krüger (1915–2001) aus Dresden hatte ihre Wurzeln im ­Arbeitersport und war eine herausragende sächsische Athletin im Speerwerfen. Neben ihrer Leichtathletikkarriere spielte ­Krüger auch Tennis, Handball, Faustball und Hockey.

Ab 1952 war sie als Sportlehrerin an der TU Dresden tätig und ­trainierte erfolgreiche Leichtathletinnen wie Hildrun Claus. Die in den 2010er Jahren aufkommende Forderung, ein Stadion in Dresden nach ihr zu ­benennen, wurde bisher nicht umgesetzt.

Sportliche Erfolge von Luise Krüger

1930: Frauen­weltspiele Prag, 3. Platz

1931: Arbeiter-Olympiade Wien, 1. Platz

1936: Olympische ­Sommerspiele Berlin: 2. Platz

1948 und 1949: Ostzonen­meisterschaften, 1. Platz

Quellensammlung

→ Auguste Hoffmann: Frau und Leibesübungen im Wandel der Zeit. Schondorf 1965, S. 59
→ Joachim Schindler. Die ­jüdische Dresdner Berg­steigerin Ilse Frischmann. In: Wissenschaftliche Alpen­vereinshefte, Nr. 40, München 2005, S. 212
→ Michaela Czech. Frauen und Sport im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 1994, S. 123

Bildnachweise

→ Fotografie aus Dora ­Menzlers Buch „Die Schönheit ­deines Körpers“, Stuttgart 1924 (© Deutsche Fotothek / Fritz Schimmer)
→ Bildreportage „Kein Sport für Frauen?“ in der Zeitschrift „die neue linie“, Nr. 1, September 1930 (Rechte vorbehalten)
→ Umschlagfoto der Zeitschrift „Das Leben“, Nr. 1, Juli 1932 (Rechte vorbehalten)
→ Collage aus der Zeitschrift „Femina“ von 1911 (­Sammlung Joachim Schindler, Rechte ­vorbehalten)
→ Margarethe und ­Elsbeth ­Große, 1910 (Sammlung ­Joachim Schindler, Rechte ­vorbehalten)
→ Deckblatt aus Margarethe Große: Frauen auf Ballon- und Bergfahrten, 1951 (­Sammlung Joachim Schindler, Rechte ­vorbehalten)
→ Sammelpostkarte Lina Radke (Rechte vorbehalten)
→ Fotografie aus: Festschrift zum ersten deutschen ­Arbeiter- Turn- und Sportfest 1922 in Leipzig. Arbeiter-Turnverlag Leipzig, 1922, S. 16 (Rechte vorbehalten)
→ Fotografie aus Dora ­Menzlers Buch „Die Schönheit ­deines Körpers“, Stuttgart 1924 (© Deutsche Fotothek / Fritz Schimmer)
→ BDM-Mädchen beim Turnen (© BArch, Bild 133-035))
→ BDM-Organisation „Glaube und Schönheit“ (© BArch, Bild 183-2013-0114-506)
→ Ilse Frischmann im Mail 1942 (Sammlung Joachim Schindler, Rechte vorbehalten)
→ Sammelpostkarte ­Luise ­Krüger zu Olympia 1936 (­Rechte vorbehalten)